Translate

Montag, 5. September 2016

Tangermünde - Die Last der ganzen Welt

geschrieben am 31. August 2016
geschehen   am   5. August 2016



Da stand ich nun. Abwartend, umringt von Kirche, Kastanie, Pfarrhaus, Fachwerkhäusern und der Stille des lauen Windes, den Blick auf das farblose Missverständnis und Pastor Weinert gerichtet, der mit einem Schlüsselbund spielte. 
Sankt Stephan vom Pfarrhof aus

"Bedeutet sein, es gäbe keine Wohnung in der ich über- nachten könnte, ich habe keinen Schlaf- platz und muss jetzt noch auf Suche gehen?" 

Am Telefon hatte ich angenommen, Herr Weinert nähme es mit der Formulierung Wohnung sehr genau, denn dort hatte er schon gesagt, dass es keine Wohnung gäbe. 
Eine Wohnung, die erwartete ich auch gar nicht. Einen Platz zum Schlafen war verabredet. Eine Matratze, Dusche und Küchenbenutzung, so hatte Frau Christians-Albrecht mir die Mitteilung weitergegeben. Ich bräuchte nur einen Schlafsack mitbringen. Einen Platz zum entspannenden Schlafen, eine kleine Abendmalzeit und am Morgen ein gutes Frühstück. Mehr wollte ich gar nicht. War das schon zu viel?

"Warten auf den Liebhaber" 
Tat ich an diesem Abend mit keiner
Silbe mehr. Das Foto ist von mir
und passt zu meiner damaligen
Sehnsucht nach einem bequemen
Bett.
"Es gäbe nur einen Raum im Pfarrhaus in dem Pilger auf Isomatten schlafen könnten."  Einen Augenblick dachte ich an mein Himmelbett zu Hause und seufzte leise. "Na, mal abwarten. Erst ansehen, dann weitersehen und besprechen." Trotz der vielen Fragen, die sich mir stellten verspürte ich Ruhe in mir. Immerhin war ich auf Friedensfahrt. Und so hatte er sich wohl auch in mir ausgebreitet. Vielleicht war ich auch einfach nur müde.

Ich folgte Herrn Weinert ins Pfarrhaus hinüber und bekam eine Führung durch die klaren und lichten Räume. Auch hier begleitete mich diese deutlich wahrgenommene Farblosigkeit, die ich schon im Innenhof empfunden hatte. Das Pfarrhaus ist über 400 Jahre alt und wurde ursprünglich als Knabenschule gebaut. Die Räume für die Christenlehre sind vom Metallkünstler
Thomas Leu nach der Christophorussage gestaltet. Mit seinem großen Wandrelief "im Fluss" vor der Wand des Gemeindesaals brachte er die Wellen von Elbe und Tanger ins Haus. Stellvertretend für die Wellen des Flusses durch die der heilige Christophorus das Jesuskind getragen hatte. 

Um das Leben des Christophorus, dessen historische Existenz durch frühe Zeugnisse der Verehrung und Weihe einer Kirche im Jahr 454 in Chalkedon gesichert ist, ranken sich viele Legenden. Heute ist Chalkedon der Stadtteil Kadiköy von Istanbul.
Die Legenden lasse ich hier aus. Sie sind zu lesen im Ökumenischen Heiligenlexikon. (Lexikon)


Christophorus mit dem Jesuskind
Malerei aus dem Stundenbuch
des Sir John Cornwell, ca.1418,
Trinity College in Cambridge
Hier fand ich auch die Abbildung aus dem Stundenbuch.

Leider gab  es tatsächlich neben Tischen und Stühlen keinen mit einer Matratze ausgestatteten Schlafplatz in einem der Räumen. Herr Weinert bot mir seine persönliche Luxusisomatte an, die ich gerne annahm und auf der ich unerwartet gut schlief, nahm meine Personalien auf und berechnete mir für die Übernachtung zehn Euro. 

Auch ohne Luftanhalten passte ich danach mit Wagen durch die schmale Passage zum Pfarrhof, lud alle notwendigen Utensilien aus, band einen Stoffdruck mit Friedenstaube an die Kastanie, richtete mir meinen Schlafplatz vor der Fensterreihe ein. Aß in der großen Küche von dem, was ich noch in meinem Picknickkorb hatte, Kekse, Datteln, Schokolade und Obst, trank Tee und schlich dann unter die Dusche. Zum Essen gehen war ich viel zu müde und mein sehr knappes Geld musste mich noch durch die weiteren Tage der Reise bringen. 

Meinen Plan nach dem Duschen noch meine ersten Reiseerfahrungen in diesen Blog einzutragen oder sie zumindest handschriftlich zu fixieren gab ich auf. Weder Internetverbindung noch Elan standen mir an diesem Abend zur Verfügung. So kuschelte ich mich in meinen Schlafsack und schlief augenblicklich ein.

Am nächsten Morgen klingelte ich im Pfarrbüro, doch öffnete niemand. Vielleicht würde ich nach dem Frühstück noch jemanden erreichen. So folgte ich dem Weg zum Gasthaus, den Herr Weinert mir am Abend gezeigt hatte. 
Ich ließ mir Zeit und genoß mit Blick auf den grauen Himmel ein reichhaltiges und gut sortiertes Frühstück. Danach hätte ich gerne noch mit Herrn und Frau Weinert gesprochen. Als ich das Pfarrhaus betrat fand ich eine Nachricht, dass beide schon unterwegs zu einem Termin waren.

"Kind, Du bist so schwer, als hätte ich die Last der ganzen Welt auf meinen Schultern."
Dieser Ausspruch des heiligen Christophorus, steht in metallenen Lettern über die ganze Breite der Hausfront geschrieben.


Bevor ich meine Utensilien im Wagen verstaute fotografierte ich aus dem geöffneten Fenster über meinem Schlafplatz hinaus in den Innenhof. Ich verstaute mein Gepäck. Danach ging um Sankt Stefan und machte weitere Fotos. 
Als ich nach meiner Reise alle Fotos sichtete waren diese verschwunden. Da half auch kein mehrfach und immer wieder Nachsehen, kein Raufundruterskrollen. Nur die vom Abend vorher waren noch auf der Speicherkarte zu finden.
So kann ich wenigsten zeigen, dass vielleicht erst vor Kurzen auch in der Sankt Stephan Gemeinde über Frieden und Krieg gesprochen wurde.






Diese Schaubilder waren an eine Tafel geheftet, die in dem  Raum stand, in dem ich übernachtet hatte.

Nachdem ich eine Nachricht an Weinerts geschrieben, Friedensband und -tuch und den Pfarrhausschlüssel im Hausbriefkasten verstaut hatte, ordnete ich meine wehenden Kleider und begab mich gegen 10Uhr auf den Weg nach Rathenow.

Quellen

Volksstimme.de
Neues Leben für ein 400 Jahre altes...
Das Christophorushaus auf dem Weg...

Ökumenisches Heiligenlexikon
Heiliger Christoporus